Wie viele Filme sind dieses Jahr eingereicht worden?
Rund 1.000 Filme…
Wie viele davon hast du gesichtet?
Ganz gesichtet zwischen 60 und 65, würde ich sagen. Aber dazu kommen natürlich noch jede Menge Kurzsichtungen (z.B. in den Gruppen bei unseren Arbeitstreffen, die an mehreren Wochenenden stattfinden). Jedenfalls sind es jedes Jahr so viele, dass lange Abende und Augenringe vorprogrammiert sind.
Wie viele Filme schaffen es letztendlich ins Rennen?
Dieses Jahr zeigen wir etwa 140 Filme aus 38 Ländern, darunter zahlreiche internationale und nationale Premieren, das sind mehr oder weniger so viele wie vergangenes Jahr. Unterschied: Zur Jubiläumsausgabe (30.!) spielen wir zehn Tage: 07.-17. Mai 2015, d.h. drei Tage länger als in den vergangenen Jahren und mehr Wiederholungsvorstellungen (manche Filme bis zu vier Mal). Damit hat jeder die Chance, den Film zu sehen, den er unbedingt sehen möchte. Das Programm ist jetzt auch online: http://www.dokfest-muenchen.de/DOK_fest_program
Wie bist du zum Dokfest gekommen?
Ich arbeite schon – in der gleichen Funktion – seit 1999 für das Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest (zunächst als Praktikantin, daraus hat sich aber eine langjährige „Freundschaft“ entwickelt). Der dortige Festivalleiter kennt Daniel Sponsel, der das Dokfest hier leitet – und so bin ich zum Dokfest München gekommen. Seit einigen Jahren gibt es auch eine enge Kooperation zwischen den beiden Festivals.
Kannst du die Zeitspanne nennen, nach der klar wird, dass ein Film Potential hat?
Das ist ähnlich wie beim Kennenlernen von Menschen: Ein erstes Gespür für den Film bekommt man in den meisten Fällen bereits in den ersten 5 – 10 Minuten und ich würde mal sagen, in ca. 80 % bestätigt sich dieser Eindruck im Laufe des Films. Aber das kann man alles nicht verallgemeinern. Manche Filme brauchen Zeit, um sich zu entwickeln und natürlich gibt es immer wieder auch (positive) Überraschungen.
Entscheidet das Publikum mit bei der Preisverleihung?
Oder gibt es einen Publikumspreis?
Das BR Filmmagazin kinokino vergibt reihenübergreifend einen Publikumspreis. Ansonsten gibt es Preise in den verschiedenen Reihen, über die jeweils professionelle Jurys entscheiden.
Was ist Deine Funktion innerhalb des Dokfest?
Ich bin ein sogenannter Programmer, d.h. ich sichte, gestalte das Programm mit, schreibe Katalogtexte und moderiere während des Festivals Vorführungen in Anwesenheit der Filmemacher – und das Ganze natürlich mit vielen anderen zusammen.
Was war die schlimmste Panne, die dir während einer Filmpräsentation passiert ist?
Ganz dramatische Sachen sind mir bisher noch nicht passiert. Das ist ja gerade die Herausforderung für Moderatoren, dass sie Fettnäpfchen umschiffen, brenzlige Situationen überspielen, sodass erst gar keine Panne draus wird (oder zumindest keine, die das Publikum mitbekommt). Neben den normalen Unwägbarkeiten sind mir nur zwei Sachen im Gedächtnis geblieben: Einmal musste ich ad-hoc ein Filmgespräch auf spanisch führen, weil der Übersetzer nicht kam und das andere Mal habe ich eine Frau im Publikum mit „der Mann dahinten“ mit ihrer Wortmeldung dran genommen (aber ich denke, sie hat es nicht bemerkt…)
Dein interessantester oder zumindest ein interessanter Gesprächspartner/in während einer Präsentation?
Meine Gesprächspartner sind prinzipiell erstmal alle interessant, denn immerhin haben sie einen spannenden Film – sonst wären sie nicht im Programm. Im Filmgespräch eröffnen sich immer noch mal ganz neue Aspekte des Films und ich muss gestehen, dass ich danach manchmal selber noch positiv(er) überrascht war von manchen Filmen, die ich vorher schon kannte. Ein für mich erinnerungswürdiges Erlebnis: Bei meiner allerersten Moderation – das war noch in Kassel – zu einem Nina-Hagen-Porträt von Peter Sempel (ein Szene-Urgestein) war sein erster Kommentar nach dem Film, dass er gar keine Lust habe darüber zu sprechen, aber draußen sei ein Stand aufgebaut, wo man Plakate etc. kaufen könne. Das hätte mich beinahe in meinen „Grundfesten“ als Moderatorin erschüttert.
Welche Filme haben es nach den Festivals in die Kinos geschafft?
Um nur einige vom vergangenen Festival zu nennen: das Nick-Cave-Biopic 20,000 DAYS ON EARTH, DER GROSSE IRRTUM, der sich auf die Suche nach dem Marktwert des Menschen macht, oder EVERYDAY REBELLION zum Thema gewaltloser Widerstand. Das Dokfest hält auch über die Kinostarts von Filmen, die beim Festival liefen, auf dem Laufenden. Vom aktuellen Programm haben bisher u.a. LA BUENA VIDA von Jens Schanze, NICHT ALLES SCHLUCKEN von Jana Kalms und Piet Stolz, UNE JEUNESSE ALLEMANDE von Jean-Gabriel Périot oder WAS HEISST HIER ENDE? DER FILMKRITIKER MICHAEL ALTHEN von Dominik Graf einen Kinostart.
Gibt es ein Lieblingsthema bei Filmen für dich?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Generell interessieren mich immer existenzielle Themen wie Liebe, zwischenmenschliche Beziehung, Krankheit, Tod oder ganz „abseitige“ Themen, mit denen man sich vorher nie auseinandergesetzt hat (und das ohne den Film auch nicht tun würde). Einer meiner ersten Filme, die ich moderiert habe, ist KANALSCHWIMMER von Jörg Adolph, und das ist echt verrückt, was die (mitunter schon recht alten) Menschen auf sich nehmen, um den Ärmelkanal zu durchqueren. Dann wiederum sehr herzerwärmende Filme über alte Menschen wie HERBSTGOLD, der Olympioniken weit jenseits ihres 70. Lebensjahrs begleitet. Oder BEVOR DER LETZTE VORHANG FÄLLT, die liebevolle Hommage an neun alternde homo- und transsexuelle Künstler, die zu einer letzten Tour zusammenfinden. Oder MIT HAUT UND HAAR, der höchst intelligente und unterhaltsame Protagonistinnen mit bewegender Lebensgeschichte zu Wort kommen lässt. Das sind einfach Geschichten, die das Leben besser schreibt als jedes Drehbuch.
Wichtig ist aber nicht nur der Inhalt, sondern auch die formale Umsetzung. Bestes Beispiel im aktuellen Programm: LEBE SCHON LANGE HIER. Inhalt: Der Blick aus einer Wohnung auf eine Kreuzung in Berlin. Das reißt erstmal keinen vom Stuhl. Aber die Umsetzung schon: schönste Schwarzweiß-Bilder, poetische undergründig-philosophische Texte aus dem Off, der über Bild-/Ton-Schere vermittelte Kontrast von Innen und Außen und eine eigens komponierte Musik, die einfach das Gefühl des Films trifft. Neben den großen politischen Themen ist auch das Dokumentarfilm. Da kann man nur von Glück sagen, wenn für solche Perlen Platz im Programm ist!
Foto (c) Dokumentarfilmfestival München
Veröffentlicht auf meinem Blog im April 2015
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